Frühlingskräuterführung

Ähnlich wie im letzten Jahr haben meine Kooperationspartnerin Sieglinde Schuster-Hiebl und ich auch am 20. April 2024 wieder eine Frühlingskräuterführung ausgerichtet.

Draußen konnte von “Frühling” allerdings keine Rede sein – nahezu winterlich waren die Wetterbedingungen bereits eine ganze Woche zuvor: Sturm, peitschende Regensalven, Schneeschauer und einstellige Temperaturen zwangen uns, weite Teile der Veranstaltung in die Offizin zu verlegen. Dennoch haben sich 10 Hartgesottene eingefunden, darunter als seltener “Ehrengast”-Experte mein Cousin, Chemiker mit australischem Wohnsitz.

Da es vor 10 Tagen mit Temperaturen bis zu 27°C schon nahezu sommerlich warm gewesen ist, ist die Natur viel weiter als letztes Jahr, auch wenn wir 2 1/2 Wochen früher dran sind: Auf der Naturwiese haben sich die meisten Löwenzähne schon in Pusteblumen verwandelt, der Gundermann und der Kriechende Günsel sind schon draußen, haben allerdings nach den Nachtfrösten ihre Anthocyane aktiviert und sind rot angelaufen, ebenso wie die Gänseblümchen. Genügend Veilchen sind zum Glück noch da, aber die meisten Schlüsselblumen sind schon verblüht.

Am krassesten ist der Unterschied bei der Engelwurz. Letztes Jahr um diese Zeit ein kaum wahrnehmbares Pflänzchen, steht sie im zweiten Jahr schon dominant mit riesengroßen Blättern im Hochbeet, kurz vor dem Austrieb ihrer mächtigen Dolde. Zum Jahresende wird sich diese zweijährige Pflanze mit einem Feuerwerk an Furanocumarinen verabschieden – pharmazeutisch verwertbar ist vor allem die Wurzel.

Engelwurz

An Zwiebelpflanzen erklären wir im Kasten-Hochbeet so vertraute Gewächse wie Knoblauch, Zwiebel, Lauch und Schnittlauch, die jeder von uns schon einmal in der Küche verwendet hat; weniger bekannt ist, dass zumindest Knoblauch als Heilpflanze im Europäischen Arzneibuch steht und damit “offizinell” ist (Trockenextrakte als Tabletten und Dragees, Öl in Kapseln) und als tradionelles pflanzliches Arzneimittel im Sinne des § 39a des Deutschen Arzneimittelgesetzes – AMG – anerkannt. Die Zwiebel ist nicht offizinell, ihre Inhaltsstoffe aber geprüft, Pulver und Kapseln im Handel und inzidiert zur Vorbeugung altersbedingter Gefäßerkrankungen. Alliin ist die schweflige Aminosäure, die unseren Zwiebelpflanzen gemeinsam ist (obwohl eine Aminosäure, ausnahmsweise kein Protein, wie wir von unserem Chemiker lernen) – aus deren weiteren Zerfallsprodukten bei Verletzung der Pflanze (Schneiden, Presse, Kauen) leiten sich sowohl die nachgewiesenen Heilwirkungen gegen Arteriosklerose ab (Gefäße erweiternd, Blutfluss fördernd, Cholesterin senkend) als auch so unbequeme Begleiterscheinungen wie der geschmähte Knobi-Duft und das tränende Auge bei der Zwiebel. In der Volksmedizin sind Knoblauch und Zwiebel noch vielseitiger, wie Sieglinde zu ergänzen weiß: Antimikrobiell, das Immunsystem stärkend, als Frischpflanzen-Presssaft und Auflage die Zwiebel auch ein altes Hausmittel zur Linderung banaler Erkältungssymptome, außerdem Appetit anregend und die Verdauung fördernd..

Das vitaminreiche Lauchgemüse und das Schnittlauch als beliebtes Küchenkraut – beides stammt in Wildform aus der Mittelmeerregion – wurden phytotherapeutisch nicht auf eine anerkannte Heilwirkung hin untersucht, ebensowenig wie der vor allem in Suppen, Saucen, Dips, Kräuterbutter, als Pesto und im Salat geschätzte Bärlauch. Achtung, die im Handel erhältlichen Fertigpräparate (Kapseln, Pulver, Saft, Tinktur) sind keine Arznei, sondern Nahrungsergänzungsmittel. Unser Bärlauch am Teich blüht dieses Jahr leider schon und hat daher deutlich an Aroma verloren. Dennoch können wir die übrigen botanischen Unterscheidungsmerkmale zu den hinter dem Teich wachsenden giftigen Maiglöckchen wie im Vorjahr noch einmal erklären (knackende Mittelrippe, und jedes Blatt kommt einzeln aus der Erde). So weit wie die Maiglöckchen in diesem Jahr schon sind, nämlich kurz vor der gänzlich anders gestalteten Blüte, würde allerdings auch ein Laie die Pflanzen kaum verwechseln.

Zu den übrigen Wirkungen einzelner Pflanzen auf der Naturwiese verweise ich an dieser Stelle auf meinen Blog vom 9. Mai 2023.

Wie im Vorjahr gibt es auch in diesem Jahr eine Einführung in die Gemmotherapie, ein schulmedizinisch in seiner Wirksamkeit nicht durch eindeutige Studien belegtes Naturheilverfahren (Einzelheiten siehe ebenfalls im Blog vom 9. Mai 2023). Wetterbedingt müssen wir die theoretischen Erläuterungen drinnen in der Offizin geben. Ein Spaziergang entlang des Bahndamms der S 7 zu Sieglindes Naturgarten hätte auch bei gutem Wetter wegen der dieses Jahr ungewöhnlich fortgeschrittenen Natur keinen Sinn mehr gemacht, denn überall – selbst bei der Esche – sind die Blätter schon weit draußen, und in diesem Zustand sind die Sträucher für die Knospenheilkunde nicht mehr zu gebrauchen. In der Offizin können wir allerdings mit späten Weinreben-Knospen aus dem hinteren Garten einen Ansatz nach der Rezeptur des belgischen Arztes Pol Henry (1:45 mit je 1/3 abgekochtem Wasser, 95 %igem Alkohol und 85 %igem Glyzerin) vorführen. Nach 2 Wochen Auszugszeit kann das Mazerat in Sprühflaschen abgefüllt und als Mundspray verwendet werden; nach gemmotherapeutischer Theorie sei Weinreben-Knospenspray hilfreich gegen Muskel- und Gelenkschmerzen, rheumatische Beschwerden und sonstige Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats.

Wir danken allen Teilnehmer*innen, die trotz der widrigen Bedingungen tapfer durchgehalten haben – ein Dankeschön hierfür und auf baldiges Wiedersehen!

Präsentationstisch Frühlingskräuterführung

Für eine private Gruppe rund um eine Aachener Ärztin haben wir die Veranstaltung am Nachmittag noch einmal in ähnlicher Form wiederholt. Hier hat die Sonne uns erfreulicherweise ein kurzes Gastspiel gegeben, so dass wir etwas länger in den Garten hinaus konnten. Sieglinde hat das Kinderprogramm begleitet mit der Herstellung eines Veilchenessigs und einer Waldmeister-Apfel-Zitronen-Limonade, die auch den Erwachsenen gut geschmeckt hat. Mein Cousin hat übrigens wie einst mein von dort stammender Vater in Aachen an der Technischen Universität studiert – insoweit sei an dieser Stelle auch eine persönliche heimatliche Hommage an die Stadt Karls des Großen ausgesprochen.

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