Ach Gott! die Kunſt iſt lang;

Kein Schreibfehler, so steht es wörtlich im Faust und wer würde denn Goethe anzweifeln? Ganz genau lautet das Zitat inklusive dem heute immer noch erlaubten Lang-S (ſ):

Ach Gott! die Kunſt iſt lang;
Und kurz iſt unſer Leben.

Damit bezieht sich Wagner (der Assistent von Dr. Faust) auf ein altes lateinisches Sprichwort, das wiederum im Corpus Hippocraticum vorkommt und somit traditionell dem Hippokrates zugeschrieben wird:

Vita brevis, ars longa

Also auf deutsch in etwa: das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Wobei mit Kunst damals die Lehre oder die Wissenschaft gemeint war – unser heute gebräuchlicher Kunstbegriff entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert und wurde wesentlich von Goethe und seinen Zeitgenossen geprägt. Davor gab es eigentlich keine Künstler: der Maler, Bildhauer oder Komponist wurde als ein Meister seines Faches betrachtet – dem Handwerker überlegen im Können, aber nicht im Prinzip.

Zurück zu Hippokrates: er wollte zum Ausdruck bringen, dass es in der Heilkunst soviel zu lernen gibt, dass ein Leben dazu nicht ausreicht.

Unser neuestes Exponat, ein barockes Arzneischränkchen, präsentiert genau diese Symbolik: man sieht Hippokrates mit einer Schriftrolle „VITA BREVIS, ARS LONGA“ in der rechten Hand und einem Ölbaumzweig in der linken – dem Olivenöl wird im Corpus Hippocraticum eine große Bedeutung für die Gesundheit beigemessen. Wie auf dem nebenstehenden Detailausschnitt der linken Schranktür erkennbar, wurde oberhalb noch der heilige Cosmas aufgemalt – über ihn und seinen Bruder Damian haben wir bereits hier berichtet. Die üppige pharmazeutische Symbolik setzt sich auf der rechten Schranktür fort, wo unterhalb des Damian-Porträts als zweiter Protagonist der legendäre Hermes Trismegistos auftritt. Der Spruch auf seiner Schriftrolle lautet:

Quod est superius est sicut inferius.

Auf deutsch etwa: das was oben ist, ist wie das, was unten ist. Gemeint war mit „oben“ der Himmel oder das Universum, wo die Götter wohnten, und „unten“ war die Erde mit den Menschen. Ausgedrückt werden sollte damit, dass alles eine Einheit und miteinander verbunden ist. Versteht man die Gesetzmäßigkeiten in einem Bereich, so wird sich im anderen Bereich eine Entsprechung dazu finden. Etwas allgemeiner: die Prinzipien und Muster, die in der Welt der Ideen und des Geistes existieren, manifestieren sich auch in der physischen Welt.

Hermes Trismegistos ist eine sagenhafte Gestalt zwischen Götter- und Menschenwelt, eine Art Verschmelzung des griechischen Götterboten mit Thot, dem ägyptischen Gott der Magie und der Wissenschaften. Passend dazu hält er mit der rechten Hand eine Armillarsphäre empor, was als Symbolik perfekt zum Begründer der hermetischen Geheimlehren und damit der Alchemie passt. Diese wiederum beschäftigte sich intensiv sowohl mit astrologischen, als auch mit astronomischen Themen, die in der damaligen Zeit als Einheit betrachtet wurden.

Der Bezug zur Pharmazie kommt so zustande, dass viele Apotheker in der frühen Neuzeit auch Alchemisten waren. Zumeist zwar nicht mit der Absicht, unedle Metalle in Gold zu verwandeln, aber doch mit der Vorstellung, es könne ein Universal-Heilmittel für alle Krankheiten (das so genannte Panacea) geben. Beginnend mit Paracelsus hielt die Laborarbeit Einzug in die Pharmazie: Arzneimittel wurden unter Verwendung alchemistischer Praktiken wie Destillation, Extraktion oder Sublimation hergestellt. So wurde die Alchemie zum Vorläufer der modernen Chemie, was sich ja am Begriff selber bereits ablesen lässt.

Wenn wir uns das Wandschränkchen im Gesamten betrachten, so fallen aber zuerst die prachtvolle Heilpflanze Aloe Vera auf der Mitteltür sowie der Rocaillen-Aufsatz mit dem auf 1763 datierten Mörser ins Auge.

Barockes Arzneischränkchen

Auch wenn alle drei Türen ein Schloss tragen, so lässt sich nur die linke öffnen; die anderen beiden sind tatsächlich Schiebetüren, so dass die Beschläge womöglich später aufgebracht wurden. Eine richtige Schlossfunktion hat aber auch die linke Tür nicht. Vielleicht befand sich früher eine Art Riegelmechanismus hinter dem Loch.

Offen muss auch bleiben, wo dieses Schränkchen einst hing und welchen Zweck es erfüllte. Für eine Verwendung als Vorratsschrank in einer Apotheke scheint es zu klein und mit den Schiebetüren auch unpraktisch im täglichen Gebrauch. Zu einem Giftschrank würde die Größe passen, aber nicht die Symbolik. Der Mörser kann zwar als Hinweis auf eine Rezeptur gedeutet werden, ist aber auch als allgemeines pharmazeutisches Symbol gebräuchlich.

Die Aufteilung innen mit Zwischenbrettern und Medizinladen (die meisten allerdings verloren) ist durchaus einschlägig; insofern könnte es sich um die Hausapotheke eines Adligen oder wohlhabenden Bürgers handeln. Eine genauere Untersuchung in bau- und materialtechnischer Hinsicht steht noch aus; bis dahin erscheint die Datierung auf dem Mörser nicht abwegig und eine Verortung im alpenländischen Raum möglich. Wir freuen uns natürlich wie immer über Hinweise und Einschätzungen.

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