Fiktive Apotheker

Nur selten ließen sich Apotheker namentlich auf ihren Standgefäßen verewigen, denn es handelte sich ja trotz teilweise immensem Gestaltungsaufwand immer noch um Gebrauchsgegenstände. Und beim durchaus üblichen Verkauf einer Apotheke mitsamt Einrichtung waren personalisierte Standgefäße eher hinderlich. Dazu kam, dass gerade auf den kleineren emaillierten Vierkantflaschen nicht genug Platz war. In einigen wenigen Fällen hat es aber zumindest für ein Monogramm gereicht. Auf größeren Porzellangefäßen erscheint gelegentlich auch mal der Name der Apotheke. Am häufigsten findet man den Auftraggeber noch auf Bronzemörsern, denn diese waren so teuer, dass der Besitzerstolz sicherlich sehr ausgeprägt war.

In all diesen Fällen wurden mit der Personalisierung repräsentative Zwecke verfolgt, heute würde man wohl von einer Werbemaßnahme sprechen. Dementsprechend präsentieren sich die Namenszüge auch immer an prominenter Stelle, also schauseitig.

Bei der hier zu besprechenden Serie von Porzellangefäßen ist jedoch alles anders: der Apotheker und sein Wohnort erscheinen auf dem Unterboden, wo normalerweise nur Porzellanmarken oder andere Herstellerbezeichnungen zu finden sind. Dies ist für sich genommen schon ein starkes Warnsignal für verdächtige Umtriebe.

Porzellangefäß P. Momboisse
Dieser Gefäßtyp mit Kissendeckel und Pilzknauf erscheint erst nach 1850

Menyanthes trifoliata, der Fieberklee, ist zunächst einmal eine durchaus gebräuchliche Substanz, die sich beispielsweise bei Samuel Hahnemann findet. Das zugehörige Porzellangefäß besticht allerdings durch einen überaus schrägen Dekor und eine bizarre Provenienz auf dem Boden.

Signatur P. Momboisse

Der Apotheker P. Momboisse will uns hier wohl weismachen, er hätte das Gefäß selbst hergestellt, denn wie sonst ist diese schicke Porzellanmarke zu verstehen? Bei der Unterschrift hat er sich allerdings vertan, denn den „Apothicaire“ gab es schon seit 1791 nicht mehr. Die offizielle Berufsbezeichnung lautet seither „Pharmacien“. Vielleicht hat sich Monsieur Momboisse bei der Jahreszahl vertan und meinte 1735? Sicher nicht – denn da gab es noch gar kein Porzellan in Frankreich.

Selbst der gutgläubigste Laie muss hier zu dem Schluss kommen, dass bei diesem Gefäß so ziemlich alles frei erfunden ist. P. Momboisse kann also zur Spezies der fiktiven Apotheker gerechnet werden. Diese Lebensform wurde erstmals 1967 in der Revue d’histoire de la pharmacie Nr. 194 beschrieben, und der erste bekannte Vertreter ist P. Bousquet.

Porzellangefäß P. Bousquet
Bei den Substanzen setzt Bousquet auf pharmazeutische Klassiker wie hier den Borretsch

Wer immer dieser P. Bousquet war, ein Apotheker in Toulouse war er jedenfalls nicht. Es gibt aber erstaunlich farbenfrohe Porzellangefäße mit seiner Signatur, wie beispielsweise die beiden äußeren Exemplare im ersten Bild. Das mittlere Standgefäß ist hingegen tatsächlich alt und soll wohl etwas „Patina“ nach links und rechts abstrahlen. Oder wie der Anbieter dieser Objekte fabulierte: „Réunion de trois pots à pharmacie en porcelaine“.

Der Pharmaziehistoriker Eugène-Humbert Guitard aus Toulouse hat sich also 1967 die Mühe gemacht, die dortigen Kirchenbücher, Personenstandsregister und Apothekerlisten zu durchsuchen; er kam dabei nur auf einen Antoine Bousquet, der jedoch schon 1536 tätig war.

Also eigentlich ein klares Forschungsergebnis – aber so leicht ließen sich die fiktiven Apotheker nicht abschütteln. Denn schon bald expandierten sie in andere Städte, deren Archive noch niemand durchsucht hatte. Interessanterweise haben sie alle einen Vornamen, der mit P beginnt und dieselbe Handschrift wie ihr Stammvater P. Bousquet.

Ganze Apothekerbiographien warten darauf, erforscht zu werden: P. Lestrade beispielsweise konnte sich offenbar in der Kleinstadt Aurillac nicht gegen P. Lacoste durchsetzen und verlegte seine Offizin kurzerhand nach Montpellier, wo er dann P. Pasquier Konkurrenz machte:

Signatur P. Lestrade, Montpellier

Das Epizentrum der fiktiven Apotheker befindet sich also offensichtlich in Südfrankfreich, jedoch gab es in letzter Zeit auch Sichtungen im Norden:

Den verdächtigen P.-Vornamen hat man mittlerweile fallen lassen, auch im Süden:

Die nächste Evolutionsstufe dieser äußerst wandelbaren Spezies ist ebenfalls schon zu beobachten: der fiktive Apotheker in einer unklaren Stadt.

Spätestens hier wird auch der hartnäckigste Detektiv abgeschüttelt, denn ob das nun Tulle, Zulle, Fulle, Culle, Gulle oder Eulle heissen soll, das bleibt im Dunkeln.

Wir sind gespannt was sich die fiktiven Apotheker als nächstes einfallen lassen.

Update 13. Januar 2024

Aurillac scheint sich zum Zentrum der fiktiven Apotheker zu entwickeln, mit P. Brunhes schlägt bereits der dritte Pharmazeut hier seine Zelte auf. Außerdem wird die Expansion nach Norden fortgesetzt: Morlaix in der Bretagne kommt auf die Karte.

Ein Kommentar

  1. Mittlerweile ist mir ein Buch untergekommen mit dem Titel „Mémoires d’un apothicaire sur la Guerre d’Espagne pendant les années 1808 à 1814“, erschienen 1828. Offensichtlich wurde also die 1791 abgeschaffte Berufsbezeichnung „Apothicaire“ in der Umgangssprache noch einige Zeit weiter benutzt.

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