Frühjahrsliköre – selbst gemacht!

Unsere Kräuterführungen sind nun schon recht gut eingespielt – mancher, der sie schon kennt, kommt immer wieder gern, andere kommen sporadisch, und selten sind auch mal Gäste von weit her dabei. Doch selbst gemachte Liköre in unserem Museum – dieser Workshop am 14. Mai war schnell ausgelastet, denn das genussvolle Thema gab’s bei uns noch nie!

Was hat das mit einem Apothekenmuseum zu tun, mag man sich fragen. Viel! Denn in Apotheken wurden Liköre einst fabriziert – und das ganz und gar nicht zum Spaß, sondern ausschließlich der Gesundheit wegen.

Die spannende Vorgeschichte: Nonnen und Mönche beherrschten bereits die Kunst des Destillierens aus klostereigenem Getreide, Obst und Wein; die Kreuzritter hatten das Know-how aus dem arabischen Raum mitgebracht. So experimentierte man in Klöstern bereits im Mittelalter mit Auszügen verschiedener Kräuter und Wurzeln in selbst fabriziertem Alkohol, um heilende Elixiere herzustellen. Das Benediktinerkloster Monte Cassino in Italien oder die Abtei von Chartreuse in Frankreich spielten beispielsweise eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Kräuterdestillaten. Diese frühen Experimente enthielten oft eine Mischung aus Anis, Fenchel, Kümmel, Wacholder und vielen regionalen Wildkräutern. Eine Rezeptur aus La Chartreuse mit über 130 Zutaten ist 1605 dokumentiert – das ist schon fast so komplex wie das Allround-Wundermittel Theriak, das angeblich wirksam gegen alles sein sollte, von Kopfweh und banaler Erkältung bis zur Pest!

Echten Theriak mit Schlangenfleisch und Opium hingegen gab’s nur in der Apotheke. Der historische Apotheker nutzte alle seinerzeit verfügbaren Kenntnisse über die Eigenschaften von Pflanzen, Tieren und Mineralien – den 3 Reichen der Natur!, um gezielt alkoholische Auszüge als Medizin mit unterschiedlichen Wirkungen zu fabrizieren. Im Kleinen Destillierbuch des Straßburger Wundarztes Hieronymus Brunschwig war in 3 voluminösen Bänden alles zusammengetragen, was man um 1500 über Gerätschaften, Methoden und passende Substanzen gegen die verschiedensten Beschwerden zu wissen glaubte; einiges davon übernahmen die Väter der Botanik 1-2 Generationen später in ihren neueren Kräuterbüchern. Zur Rezeptur setzte der Apotheker neben einheimischen und mediterranen Kräutern wie Basilikum, Thymian, Rosmarin, Wermut und Ysop auch exotische Gewürze wie Zimt, Kardamom, Nelken, Ingwer, Muskatnuss und Vanille an, die er nur auf Vorrat mehrmals jährlich auf den großen Handelsmärkten beschaffen konnte.

Gehalten hat sich von den vielfachen, teilweise bizarren Experimenten mit tierischen Destillierhilfen wie Rossmist und Ameisenhaufen am Ende hauptsächlich der Magenbitter, der Entlastung bei Verdauungsstörungen, Blähungen und leichten Magen-Darm-Krämpfen bringen sollte. Noch im 20. Jahrhundert hatte hier mancher Apotheker sein eigenes Geheimrezept.

Vor dem 18. Jahrhundert wäre kaum jemand auf die Idee bekommen, derartige Gebräue zum Genuss zu trinken; noch der zuckerfreie Liqueur Hygiènique auf Kampferbasis von François-Vincent Raspail (1794-1878), den ein Fläschchen unserer einschlägigen Haus- und Reiseapotheke enthält, muss scheußlich geschmeckt haben. Wer irgendwann auf die Idee kam, die bitteren und scharfen Kräuter-Destillate mit Zucker, Honig oder Sirup zu versetzen, ist wissenschaftlich nicht mehr nachvollziehbar – wahrscheinlich geschah dies nach und nach sowohl in den Klöstern als auch in den Apotheken zeitversetzt, um die Einnahme der Arznei erträglicher zu machen.

Liqueur Hygienique Raspail

Fakt ist: Die aufstrebende Oberschicht Europas entdeckte den so gemildert aromatisch-würzigen Geschmack der neuen Liköre für sich; sie wurden bevorzugt in Salons und bei festlichen Banketten serviert. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erlebte die Produktion dann einen Wandel: Statt in Klöstern und Apotheken entstanden Liköre nunmehr in privaten Manufakturen und Brennereien, später in eigens dafür errichteten Fabriken; viele bekannte Marken wurden in dieser Zeit gegründet, darunter Underberg (1846) und Jägermeister (1934), die bis heute weltweit bekannt sind.  In Deutschland und Österreich bevorzugte man Kräuterliköre mit einer kräftig-bitteren Note, während in Frankreich und Italien süßere Varianten beliebter waren.

Und heute? In einer Zeit, in der wir industrielle Standardware in jedem Supermarkt kaufen können, liegt es im Trend, sich an hochwertigen Genusslikören wieder individuell zu versuchen. Nicht nur Klöster besinnen sich auf die tradierten Rezepturen, die sie – geschmacklich exquisit verfeinert – den Touristen wieder anbieten, auch kleine Edel-Manufakturen setzen auf High-Level- Angebote, Barkeeper finden ihre geheimen Varianten und Interpretationen: Leichte Aperitifs, magenfreundliche Digestifs, Cocktails, flippige Party-Getränke – alles ist dabei, was das Herz begehrt.

Da liegt die Frage nahe: Können wir das nicht auch selbst mit solider Expertise und überschaubaren Mitteln einmal probieren – ganz ohne artifizielle Zusatzstoffe, als leckeres Geschenk und zum Selbst-Genießen? Meine Kollegin Carmen Sigl – wie ich Kräuterpädagogin für Volksheilkunde – sagt Ja! Sie hat uns einige Beispiele mitgebracht und erklärt uns nun anschaulich die Grundregeln, wie es geht.

Unterstellt, dass der Alkohol in einem gewöhnlichen Haushalt nicht eigenhändig im Keller destilliert werden muss, braucht es an Grundausrüstung nicht viel: Saubere Weithalsflaschen für den Ansatz, Trichter, Filter, Flaschen zum Abfüllen, Beschriftungsetiketten.

Wir brauchen hochwertigen 38-42 %igen, möglichst geschmacksneutralen klaren Alkohol – z.B. Korn, Wodka, Gin – für dunkle Liköre darf es auch brauner Rum oder Weinbrand sein, nicht 100 % geschmacksneutral, aber Hauptsache keine Discounter-Billigware.

An Kräutern, Pflanzenteilen und Gewürzen sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt: Essbare Küchen- oder Wildkräuter wie Thymian, Rosmarin, Salbei, Minze, Melisse, Löwenzahn, Beifuß, Schafgarbe und viele andere sind möglich, was immer die Jahreszeit schon hergibt, die lindgrünen jungen Blätter frischer Triebe von z.B. Buche und Linde, die jungen Nadeln („Maiwipfel“) von Fichte und Tanne, Knospen (z.B. Pappel), Blüten aller Art (z.B. von Löwenzahn, Kirsche, Weißdorn, Holunder), für bittere Varianten auch Wurzeln (z.B. Löwenzahn, Engelwurz, Baldrianwurzel, Bärwurz), Samen als Geschmacksverstärker (Kümmel, Anis, Fenchel), später im Jahr essbare Beeren und vollreifes saisonales Obst, möglichst regional und in Bio-Qualität. Selbstverständlich darf man keine Giftpflanze erwischen; so sollte man sich als Anfänger nicht gerade an der Weißtanne versuchen, wenn man sie nicht sicher von der Eibe zu unterscheiden weiß.

Die Grundregeln für das Sammeln in der Natur muss selbstverständlich jeder kennen; Carmen erläutert sie sicherheitshalber noch einmal: Nur Bekanntes hernehmen und Finger weg von geschützten Pflanzen, fremden Grund und Naturschutzgebiete zum Sammeln meiden, im öffentlichen Raum Handstraußregelung beachten, nur an von Schadstoffen unbelasteten Orten und keine nassen Kräuter bei oder unmittelbar nach Regen sammeln.

Gesüßt werden darf mit normalem Haushaltszucker ebenso wie mit Kandiszucker (für farbintensive Liköre bevorzugt), Rohrzucker weiß oder braun, Honig und Trockenfrüchten. Funktioniert es auch mit Birkenzucker/Xylit (gute Frage aus dem Publikum)? Wir sind uns nicht sicher, im Internet findet man insoweit tatsächlich Rezepte, aber wir haben keine Erfahrung damit.

Gewürzt werden darf nach Belieben, wie es die Alten schon wussten. Die einst exotischen Zutaten sind heute zum Glück einfacher zu beschaffen als für den historischen Apotheker, aber bitte keine Billigware, möglichst Fair-Trade und in Bioqualität.

Den Ansatz lassen wir dann rd. 2-3 Monate an einem kühlen, dunklen Ort stehen, gelegentlich schütteln wir, um die Inhaltsstoffe besser herauszulösen und zu verteilen. Dann kann abgefiltert werden, und der Likör ist trinkfertig.

Die Fragen überschlagen sich: Wieviel Pflanzenmaterial? Wieviel Zucker? Wieviel Alkohol? Carmen gibt keine klaren Vorgaben – denn es ist eine individuelle Geschmacks- und Erfahrungssache, je nach der gewünschten Intensität des Aromas, der bevorzugten Süße oder der Bitteraromen. Manchmal muss man es mehrfach in Varianten ausprobieren, bis es den individuellen Geschmack trifft, und nicht verzagen, wenn es ab und an auch mal gar nicht klappt.

Mit geschulten Handgriffen fabriziert Carmen vor aller Augen ohne Waage und Messbecher einen Ansatz mit frischem Rhabarber. Die Flasche wird etwa zu 1/3 voll mit rd. 1 ,5 cm lang geschnittenen Stückchen, eine nur knapp fingerdünne Schicht Kandiszucker wird aufgelegt und mit gutem Wodka aufgefüllt. Schon nach einem Viertelstündchen färbt sich der Ansatz vertrauenserweckend rosarot.

Mitgebracht zum Probieren hat sie uns zum Abschluss unseres Workshops allerlei!

Liköre

Wohl bekomm’s allen Teilnehmerinnen! Eine gesundheitliche Wirkung neben dem unbestrittenen Genuss können wir indes nicht versprechen! Denn im Gegensatz zu laborgeprüften offizinellen Teedrogen / Tinkturen können wir ja nicht wissen, wie hoch die Konzentration der Inhaltsstoffe unserer frisch verwendeten Pflanzen ist und wie gut der Alkohol diese wirklich ausgezogen hat.

Wer sich das Experimentieren gar nicht nach Gefühl zutraut, darf einige Vorschlags-Rezepte von Carmens Handout studieren und nachbereiten.

Guten Heimweg allseits und bis zum nächsten Mal bei uns im Apothekarium!

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